Eine kleine Odyssee des geografischen Nonsens.

Kulturtechniken werden von Generation zu Generation neu erlernt, Lesen, Schreiben und Rechnen zum Beispiel. Kulturtechniken haben ein langes Leben, unsterblich sind sie nicht.
Die Geografie, ehedem Erdkunde genannt, hat es gerade erwischt: sie ist von der Furie des Verschwindens ergriffen. Das Lesen von Land- und Straßenkarten war bis vor kurzem das kleine Einmaleins der Geografie und Voraussetzung für die Planung einer jeden Reise. Heute ist es bestenfalls die Liebhaberei einiger schrulliger Modernisierungsverweigerer, denn die Generation Navi besitzt keine Karten mehr, und sie hat weder eine Karte der Welt noch der eigenen Umgebung im Kopf. Sie vertraut ihre Wege blindlings einem kleinen Gerät an, das bereits Dutzende von Autofahrern in Flüssen versenkt hat - weil sie bei Nacht und schlechter Sicht der Flötenstimme ihres digitalen Wegweisers folgten, dem man dummerweise einzuprogrammieren vergessen hatte, dass Fähren keine Brücken sind und Flußpassagen außerhalb der Betriebsstunden deshalb wenig ratsam.

Norden, Osten? Ach, egal!


Fragt man heute jüngere Menschen, in welcher Himmelsrichtung etwa Hamburg liegt, von Frankfurt aus gesehen, dann liegt die Trefferquote bei fünfundzwanzig Prozent - weil nach Süden, Osten und Westen schließlich Norden geraten wird. Geografie, oder eben: Erdkunde, fristet an deutschen Schulen bestenfalls ein Nischendasein. Was eine allgemeine Desorientierung zur Folge hat, man kann sie immer wieder an kuriosen Fehlpeilungen ablesen. Beispiele gefällig?

Deutschland mit geografischem Nonsens


Die Magazinbeilage der Wochenzeitung Die Zeit, immerhin ein Flaggschiff des deutschen Qualitätsjournalismus, hatte dem Bundesland Hessen zum siebzigsten Geburtstag eine ganze Ausgabe gewidmet, mit siebzig hübschen Fundstücken, die Auskunft geben sollen über Eigenart und Alleinstellungsmerkmale der Hessen und ihres Ländchens. Als Hesse freut man sich natürlich über so viel Aufmerksamkeit, folglich habe ich dieses Magazin dankbar und erwartungsvoll in die Hand genommen.
Nummer 26 der erwähnten Fundstücke widmet sich unter dem Stichwort Exportwein der schönen und alten Stadt Worms und seiner Liebfrauenmilch. Die Liebfrauenmilch ist ein überwiegend süffiger Weißwein, der von arglosen Briten und anderen Außerkontinentalen konsumiert wird und nicht selten in die Kategorie rheinhessische Raffinerieabfüllung fällt. Rheinhessen und mit ihm die schöne und alte Stadt Worms gehörten tatsächlich einmal zum Großherzogtum Hessen (Darmstadt), das seine Existenz aber bereits im Jahr 1918 ausgehaucht hat; danach gehörte Worms zum kurzlebigen Volksstaat Hessen, der dem Großherzogtum im Jahre 1945 in die Aktenablage der Geschichte folgte. Die entschädigungslose Wiedereingliederung der Stadt Worms in das heutige Territorium des Bundeslandes Hessens wird man in der Mainzer Staatskanzlei (Rheinland-Pfalz) vermutlich nicht widerspruchsfrei gutheißen wollen.

Anekdote Nummer 68 schnürt modische Schuhe der Marke Buffalo Boots, die, wie man dem Magazin der Zeit entnehmen kann, aus Hochheim am Rhein stammen. Auch Hochheim ist ein traditionsreicher Weinbauort, dessen exzellente Erzeugnisse schon von Queen Victoria außerordentlich geschätzt wurden. So sehr, daß der Name Hock zum Synonym für deutschen Riesling wurde - Hock deshalb, weil dem Englischen das im Rachen geraspelte ch des Deutschen abgeht und die korrekte Aussprache von Hochheim für Weinfreunde von der Insel folglich ein unüberwindliches phonetisches Hindernis darstellt. Gelobt sei der sprachliche Pragmatismus der Briten und ihre Begeisterung für den Hock. Allerdings liegt Hochheim immer noch am Main, und die Lage Queen Victoria Berg schaut geradewegs auf diesen Fluß hinunter. Nur als Anbaugebiet rechnet Hochheim zur Weinregion Rheingau, ansonsten liegt es dort, wo es immer schon lag: hoch über dem Main.

Alles nur Petitessen? Verzeihliche Flüchtigkeitsfehler in der Hektik des Redaktionsalltags? Beckmesserei gilt unter Journalisten nicht eben als kollegialer Akt, ist aber hin und wieder recht amüsant. Blättern wir also weiter.

Rechts, links? Auch egal!

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung, das Blatt, hinter dem immer ein kluger Kopf steckt, hat vor geraumer Zeit das Kunststück fertig gebracht, links und rechts auf ureigenem Gelände gründlich zu verwechseln (mit Ernst Jandl weiß man freilich, wie leicht das gehen kann).

Der Main mündet rechts in den Rhein, die Nahe etliche Kilometer flußabwärts links. In der FAZ stand zu lesen, die Heilige Hildegard von Bingen habe das Kloster Eibingen bei Rüdesheim gegenüber der Mainmündung gegründet - der Mainmündung gegenüber liegt Mainz, gegenüber von Rüdesheim mündet die Nahe. Wenn man im nahen Frankfurt das kleine Einmaleins der Heimatkunde so gründlich durcheinanderbringt - könnte beim Verfassen des Textes vielleicht eine Flasche Liebfrauenmilch oder Hochheimer oder Rüdesheimer im Spiel gewesen sein?

Borussia München gegen Bayern Dortmund

Im Deutschlandfunk, ebenfalls ein Organ des anspruchsvollen Journalismus, apostrophiert eine Moderatorin den italienischen Fußballclub Juventus Turin als lombardische Mannschaft. Dicht daneben ist auch vorbei, heißt es in der Kickersprache. Turin ist die Hauptstadt der Region Piemont und bei den tifosi, den Fans, der lombardischen Vereine Inter Mailand und AC Milan (der war einmal Silvio Berlusconis Privatmannschaft) nicht eben gut gelitten.
Auf das deutsche Spielfeld übertragen, würde man von Bayern München wohl als Traditionself aus dem Ruhrpott sprechen. Glück auf und Grüß Gott!

Auf BR5, der Informationswelle des Bayerischen Rundfunks, wurde zur Übertragung eines Fußballspiels mal eben "hinüber ins polnische Lemberg" geschaltet. Lemberg hat im Laufe des 2o. Jahrhunderts mehrfach den Namen und die territoriale Zugehörigkeit wechseln müssen, seit Ende des Zweiten Weltkriegs gehörte es jedoch unverrückbar zum Bestand der weiland UdSSR, nach deren Zerfall und bis heute zur Ukraine.

Mitteldeutschland und der wilde Westen

Auch Der Freitag, das Meinungsmedium aus Berlin-Mitte, hat ziemlich den Kompass verloren - und zwar ausgerechnet unter dem Obertitel Heimatkunde, der ja zu einiger Ortskenntnis verpflichten müsste.

Jede Woche bietet das Blatt seiner Leserschaft unter dem Rubrum A - Z ein launiges Lexikon zu wechselnden Themen und Anlässen, in diesem Fall zum Thema Rheinland-Pfalz. Vermutlich liegt der Rhein aber leicht jenseits des Erkenntnis- und Erfahrungshorizontes der Berliner Redaktion, folglich hat sie auch nur nebulöse Vorstellungen von der Lage und den Grenzen (nicht nur) dieses Bundeslandes.

Unter dem Buchstaben F findet sich das Stichwort Frohnatur, für welche Gemütsveranlagung der Rheinländer im allgemeinen verschrien sei, das ewige Topmodel Heidi Klum aus Bergisch-Gladbach wird als Kronzeugin benannt. Dumm nur, daß Bergisch-Gladbach zwar in der Nähe von Köln und folglich irgendwie auch im Rheinland liegt, nur eben nicht in Rheinland-Pfalz. Was gemeinhin unter dem Rheinland verstanden wird, liegt in Nordrhein-Westfalen, wo man mit Pfälzern und Westerwäldern wenig am Hut hat. Der Wirtschaftsteil der Zeit, das sei hier nur kurz dazwischen geschoben (schon wieder die Zeit, ausgerechnet!), hält den Landstrich zwischen Köln und Düsseldorf dagegen für Mitteldeutschland. Himmel noch mal, Düsseldorf und Köln sind westliches Westdeutschland. Der umgangssprachliche Begriff Mitteldeutschland stammt aus fernen Vorkriegszeiten, als Deutschland im Osten noch weit bis Königsberg und Breslau reichte. Als mitteldeutsches Epizentrum darf man sich vielleicht Halle an der Saale denken.

Doch zurück zum Freitag, der unter dem Buchstaben N die Nibelungen verhandelt und die beiden mittelalterlichen Dynastien der Salier und der Staufer in Rheinland-Pfalz beheimatet wähnt. Die Salier ja. Die Staufer aber stammen, der Name sagt es schon, vom Hohenstaufen, und der gehört in die Schwäbische Alb - liegt also mittenmang in Baden-Württemberg. Es kommt aber noch härter: unter X wird Xavier Naidoo gelistet, der das Pech hatte, "einen Meter östlich, nämlich im hessischen Mannheim" zur Welt gekommen zu sein. Hier läuft mir als hundertprozentigem Hessen nun wirklich die Galle über, was nicht an Mannheim liegt, sondern am zwangseingemeindeten Sänger. Erstens ist der Rhein auf der Höhe von Ludwigshafen und Mannheim etwas breiter als einen Meter, und zweitens war Mannheim ehedem zwar kurpfälzische Residenz, niemals aber hessich. Auf jeder heutigen Karte ist es deutlich in Baden-Württemberg verzeichnet.

Diese drei prachtvollen Scheibenschüsse stammen übrigens von drei verschiedenen Autoren des Freitag, offensichtlich hielt es aber nicht eine/r von ihnen für angezeigt, sicherheitshalber kurz ein Kartenblatt zu konsultieren. Glückwunsch zu so viel blindem Selbstvertrauen! Eine Woche Klassenfahrt in den unbekannten, wilden Westen der Republik wäre der Redaktion aus Berlin/Mitte vielleicht zu empfehlen.

 

Einsturzgefahr

Früher einmal gab es in jedem bürgerlichen Haushalt eine gebundene Sammlung von Land- und Weltkarten, Atlas geheißen, benannt nach dem Titanen der griechischen Mythologie, der den Himmel auf seinen Schultern trägt. Der Himmel möchte einstürzen über all dem geografischen Blödsinn, der uns heute gedruckt und gesendet begegnet und dabei das immer gleiche SOS-Signal funkt - dass es mit der Erdkunde und dem Kartenlesen als selbstverständlicher Kulturtechnik zu Ende ist. Dass die grassierende Orientierungslosigkeit daher rührt, dass wir unsere eigene, autonome Kenntnis der nächsten Umgebung wie der Welt als Ganzes abgegeben haben an Algorithmen und Touchscreens, an Google Maps und verwandte Apps. Big Brother möge uns ein guter Hirte sein und uns führen auch in der Finsternis! Wie prophetisch waren einst doch die Verse des Wiener Dichters Ernst Jandl:

lichtung

manche meinen
lechts und rinks
kann man nicht velwechsern.
werch ein illtum!


Schiffe versenken in Hamburg

Zur Abwechslung mal eine nautische Fehlleistung, die im richtigen Leben jeden Kapitän auf großer Fahrt augenblicklich das Patent kosten würde. Der Freitag, das bekannte Berliner Meinungsmedium, dessen bekennender Abonnent ich bin, hat sich in seinem Literaturteil jüngst dem Schiffeversenken gewidmet.

Besprochen wurde das Buch Wege des weltweiten Drogenhandels der mexikanischen Journalistin Ana Lilia Pérez, die das Netzwerk der internationalen Kokainmafia kartographiert. Dieses Netzwerk überzieht selbstverständlich auch Europa und hat einen Knotenpunkt im Hamburger Hafen, der bekanntlich von sehr großen Pötten angelaufen wird. Da sollte also ein Bananendampfer aus Kolumbien mit einer Tonne Koks für die Pöseldorfer Pudernasen kein Problem mit dem Tiefgang haben. Aber an diesem Punkt läßt der Rezensent einen so staunenswerten Satz vom Stapel, dass man als Liebhaber der altbackenen Erdkunde einfach in die Knie gehen muss: Einziger Störfaktor ist das niedrige Fahrwasser der Ostsee, das zum Umladen auf kleinere Schiffe zwingt.

Hamburg, lieber Freitag, liegt an der Elbe und die Elbe mündet in die Nordsee. Den Hamburger Hafen auf direkter Route vom Atlantik über die Ostsee anzusteuern, ist ein kühnes Unterfangen, das völlig tidenunabhängig nicht ohne Grundberührung von statten gehen wird. Volltreffer. Versenkt!

Isch und Fich

Für Zeitungsmacher ist Erratum der vornehmere Ausdruck für "Versehen" oder "Druckfehler", so jedenfalls übersetzt es der einfühlsame Duden - denn errare humanum est, irren ist menschlich. Früher beschäftigte ein Verlag Korrektoren und Dokumentare, die jeden Text penibel prüften, um das Maß menschlichen Irrens möglichst gering zu halten - auf dass man sich bei der geneigten Leserschaft hinterher nicht für die veröffentlichten Irrtümer zu entschuldigen hatte. Die Stellen von Korrektoren und Dokumentaren sind inzwischen hinwegdigitalisiert und kostensparend durch Schreibprogramme ersetzt worden. Deswegen kommt das Erratum heute meist in seiner Mehrzahl vor: Errata.

Die Errata gehören zu meinen Lieblingslektüren auf den Wissensseiten der Wochenzeitschrift Die Zeit. Eine Geschichte über das Wirken der Päpste in Deutschland handelte vom Schicksal des Weltkulturerbes "Kloster Lorch". Es dauerte dann immerhin drei Wochen, bis das Weltkulturerbe in die Errata fand - es habe leider ein "s" gefehlt. Gemeint, aber nicht gewußt, war nämlich das südhessische Lorsch, einst ein bedeutendes Reichskloster, dessen karolingische Torhalle zu den ältesten Baudenkmälern in Deutschland zählt. Nun hat Lorch, ohne "s", zwar auch ein Kloster - leider aber das falsche.

Ich vermute ja, dass für diese Verwechslung historische und geografische Schimmerlosigkeit verantwortlich war. Allerdings besteht auch die Möglichkeit, dass der Autor hessischer oder pfälzischer Herkunft ist: ch und sch gehen in deren Mundart gerne durcheinander. Wer zB. die Reden des verstorbenen Altkanzlers Helmut Kohl noch im Ohr hat, weiß, dass bei ihm mit isch stets das Personalpronomen ich gemeint war, und mit Tich oder Fich im phonetischen Umkehrschluß Tisch und Fisch. Die Klöster Lorsch und Lorch bieten sich für hessische oder pfälzische Zungen zum Verwechseln also geradezu an. Als lebenslänglicher Hesse würde ich diese Möglichkeit für ein sehr verzeihliches Erratum halten.

Baden gehen mit Christian Lindner.

Im Wahljahr 2017 fand Der Freitag Christian Lindner, den Chef der FDP, in einem Kulturkommentar "beinahe gut". Lindner hatte - mitten im medialen Sommerloch - gerade laut darüber nachgedacht, ob die russische Annexion der Krim nicht neu zu bewerten sei - soll heißen, die Dinge, so wie sie sind, als vorläufig unabänderlich zu akzeptieren. Womit dann, unausgesprochen, auch über die gegen Russland verhängten Wirtschaftssanktionen neu nachgedacht werden könnte.

Dass diese Sanktionen der deutschen Wirtschaft das Geschäft verhageln, ist bekannt; dass die deutsche Wirtschaft zu den großzügigen Spendern der Kleinpartei FDP gehört, ebenfalls. Lindners Vorstoß darf man als gelernter Zyniker vielleicht auch unter dem Aspekt künftiger Spendenakquise betrachten.

Der Freitag befindet in seinem Kommentar nun die "Besetzung der Krim (für) völkerrechtlich bedenklich". Aha. Immerhin. Das Prädikat "bedenklich" ist freilich ein politischer Weichspüler, denn die Besetzung der Krim ist eindeutig völkerrechtswidrig. Der Freitag gehört bekanntlich zu den publizistischen Putin-Streichlern im Lande.

Lindners Äußerungen über Russland, die Krim und seine Sicht, wie mit dem Bruch des Völkerrechts umzugehen sei, fand auf Mallorca statt, Lindners Urlaubsort. Sechsunddreißig Grad hätten während des Interviews in Las Palmas geherrscht, vermeldet Der Freitag. Zwischen Mallorca und Las Palmas liegen freilich weit mehr als zweitausend Kilometer zu Wasser - da wäre Christian Lindner ziemlich Baden gegangen, als er sich nach dem Gespräch verabschiedete, um zur Entspannung, so war zu lesen, eine Runde Gokart zu fahren. Denn Las Palmas liegt auf Gran Canaria, mitten im Atlantik, also etwas entfernt von Mallorca und dem Mittelmeer.

Der Freitag hat Las Palmas offensichtlich mit Palma de Mallorca verwechselt, der Hauptstadt der Baleareninsel. Kann vorkommen, eine der handelsüblichen, geografischen Petitessen. Tröstlich allenfalls, dass es hier nur um sozusagen touristische Geografie ging; in der Welt der politischen Geografie sind schon Fehler geringerer Körnung höchst fatal.

Rechts ist, wo der Daumen links ist .....

..... bringt man kleinen Kindern bei und sorgt damit für einige Verwirrung, die bis ins gestandene Journalistenalter fortdauern kann. Le Monde diplomatique, die renommierte Monatsbeilage der französischen Tageszeitung Le Monde, bietet erstklassige Analysen und Hintergrundberichte in der Tradition der politischen Geographie (Zitat Wikipedia). Le Monde diplomatique erscheint in zahlreichen Sprachen - auch auf Deutsch.

Wo sonst, wenn nicht in Le Monde diplomatique, erführe man etwa, dass die chinesische Provinz Heilongjiang über Getreide von hervorragender Qualität verfügt; leider habe man in Heilongjiang aber feststellen müssen, dass unerlaubt auch transgenes Soja auf den Äckern sprieße. Woher das manipulierte Saatgut stamme, wisse man nicht. Dasselbe Mysterium, heißt es weiter, trat 3ooo Kilometer weiter östlich in der Autonomen Region Xinjiang auf. Das darf man wirklich ein Mysterium nennen, denn 3ooo Kilometer östlich von Heilongjiang liegt die Datumsgrenze, und zwar mitten im Nordpazifik. Ziemlich ungeeignet für jeglichen Sojaanbau, transgen oder konventionell. Die Autonome Region Xinjiang hingegen liegt 3ooo Kilometer westlich von Heilongjiang, genau am entgegengesetzten Ende Chinas. Osten, Westen? Daumen rechts, Daumen links? In der schlichten Disziplin der Erdkunde dampft die politische Geographie orientierungslos auf hoher See.

In einer anderen Reportage von Le Monde diplomatique ist von den Existenznöten der Fischer auf der japanischen Insel Iki zu lesen, denen die Fabriktrawler aus der Hafenstadt Sakaiminato die Blauflossenthunfische wegfangen. Sakaiminato liege 4oo Kilometer westlich von Iki, heißt es ..... 4oo Kilometer westlich von Iki aber liegt das Gelbe Meer und und dann eine Weile gar nichts. Dieser Text wird von einer Karte illustriert, auf der Sakaiminato rechts der Insel Iki zu finden ist. Und auf Karten liegt rechts seit dem 19. Jahrhundert im Osten, denn unsere Karten sind seither im allgemeinen eingenordet: Norden ist immer oben, Süden unten, rechts ist Osten, links der Westen. Daumen links, Daumen rechts, wie war das gleich nochmal? Apropos hohe See: der Freitag, das Meinungsmedium aus der Hauptstadt, behandelt unter der Überschrift Party in Monrovia die Sexskandale internationaler Hilfsorganisationen, die in letzter Zeit ruchbar wurden. Der Autor des betreffenden Artikels war als Psychologe für Cap Anamur selbst im westafrikanischen Liberia tätig, einem der Länder, in denen die Ebola-Epidemie der Jahre 2o14 bis 2o16 wütete. Der Respekt vor dieser Arbeit verbietet jegliche Häme. Wundern darf sich der Leser aber vielleicht doch über die unglaubliche Aussicht auf den Pazifischen Ozean, die den Mann in Liberia verzauberte. Wo hat er denn nur hingeschaut? Auf eine Landkarte jedenfalls nicht, denn keine Küste Afrikas grenzt an den Pazifik, nirgendwo. Liberia liegt am Atlantik.

Ist es auch Wahnsinn.....

..... so hat es doch Methode, heißt es in Hamlet (2. Akt, 2. Szene). Diesen Vers muß sich Die Zeit wohl zum Wahlspruch genommen haben, als sie einen Beitrag über die Tätigkeit der deutschen Arbeitsvermittlung in Staaten Südosteuropas und Afrikas mit einer Grafik versah, auf der systematisch die Länder vertauscht sind. Serbien wird als Albanien ausgepreist, das Kosovo als Serbien, Albanien als Kosovo - das kriegt man für diese Spannungsregion so perfekt nur in einem Moment geografischer Sonnenfinsternis hin. Aber es geht in Afrika genauso irre weiter: Tunesien heißt Marokko, Marokko wird zu Ghana, aus Ghana wird Senegal, aus Senegal schließlich Tunesien. Als Quelle für ihre Arbeit nennt die Zeit-Grafik das Bamf und die GIZ, also das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit. Ich hoffe inständig, dass das Berliner Kabinett sich bei künftigen Überlegungen zur Migrations- und Flüchtlingspolitik nicht auf solches Kartenmaterial stützen muss. Der Chefredaktion der Zeit aber sei vielleicht empfohlen, der eigenen Grafikabteilung einen Schulatlas in gedruckter und gebundener Form zu spendieren - als jederzeit verfügbares, energieeffizientes und beglaubigtes Nachschlagewerk.



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